Aufruf „Männer für‘s Matriarchat

Eine Initiative des GESELLSCHAFT IN BALANCE e.V. :

Männer für´s Matriarchat

Durch die politische Entwicklung der letzten drei Jahre wurde uns bewusst, dass eine politische Perpektive, die auf den Ausstieg aus dem Patriarchat zielt, nicht länger ein Thema für gesellschaftliche Nischen oder eine ferne Zukunft, sondern jetzt und heute angesagt ist.

Um einen sich abzeichnenden Umbau unseres Gesellschaftssystems in Richtung Transhumanismus adäquat zu begegnen, reicht es nicht aus, diesen kritisch zu kommentieren oder sich einzelnen Teilaspekten entgegen zu stellen. Es braucht ein tieferes Verständnis des Systems der Herrschaft von Menschen über Menschen, es braucht den Blick auf eine umfassendere gesellschaftliche und damit auch wirtschaftliche Alternative und – daraus folgend – entsprechende Strategien.

Wir sind seit Jahren in der matriarchalen und patriarchatskritischen Bildungsarbeit engagiert und müssen feststellen, dass unser Themenfeld von den meisten immer noch als „Frauenthema“ wahrgenommen wird. Wenn wir das Wissen um die Wirkstrukturen des Patriarchats und die gesellschaftlichen Abläufe matriarchaler Gemeinschaften aus der akademischen Sphäre in praktische Politik (!) einfließen lassen wollen, sollten wir daher stärker als bisher auch und gerade die Männer ansprechen, die kritisch und sensibel genug sind, die Verwerfungen unserer patriarchalen Zivilisation in der Tiefe wahrzunehmen.

Wir haben nicht vor, uns von den Wegbereiterinnen einer matriarchalen gesellschaftlichen Alternative abzusetzen, die die Grundlagen der modernen Matriarchatsforschung und kritischen Patriarchatstheorie geschaffen haben und würden unsere Initiative gern in einen größeren gemeinsamen Zusammenhang einbringen, in dem dieses Anliegen geteilt wird. Wir sehen uns als Teil eines breiteren Aufbruchs: für eine matriarchale Politik, eine herrschaftsfreie Gegenwart und Zukunft.

Wenn uns Grundrechte, bürgerlicher Freiheit und Demokratie am Herzen liegt, dann drängt sich nun folgende Erkenntnis auf: Wir müssen die heutige Form der parlamentarischen Demokratie dringend in Richtung auf mehr Basisdemokratie weiterentwickeln. Themen, die wir selbst erst in fernerer Zukunft verortet hatten, stehen plötzlich auf der aktuellen Agenda. „Wie wir wirklich leben wollen“ ist nun kein Mantra weitgehend wirkungsloser Zukunftswerkstätten mehr. Es umschreibt vielmehr das anthropologische Fundament einer sich aktuell als notwendig darstellenden gesellschaftlichen Neuorientierung.

Um nicht in den Reaktionsmustern der politischen Depression oder eines nur noch reagierenden Aktionismus stecken zu bleiben, braucht es eine Perspektive und eine kollektive Selbstermächtigung, die uns einerseits ermöglicht, den unverstellten Blick in den Abgrund zu wagen und andererseits die Zuversicht der eigenen Selbstwirksamkeit schenkt. Um der Kernlüge des Technokratentums, der Alternativlosigkeit, entgegen zu treten, braucht es neben aller Aufklärung, Analyse und Kritik zu aller erst das Aufzeigen einer gleichermaßen attraktiven wie auch lebbaren Alternative.

Es braucht ein neues Narrativ, eine neue große Geschichte.

Es brächte uns jedoch keinen Schritt weiter, wenn diese, wie in patriarchaler Tradition üblich, nun wieder in einer blutleeren Utopie, einer historisch in der Luft schwebenden, von gut meinenden Intellektuellen ausgedachten Form einer Art verbesserten repräsentativen Demokratie bestünde. Es braucht für diese neue Geschichte vielmehr die volle Autorität einer erwiesenermaßen nachhaltig und friedlich funktionierenden Gesellschaft. Dabei geht es nicht um eine museale Rekonstruktion alter matriarchaler Zivilisationen. Es geht um ein vertieftes Wissen um die Grundlagen und Wirkstrukturen dieser Zivilisation als Grundelemente für den Aufbau einer lebensdienlichen, gemeinwohlorientierten und naturverträglichen Gesellschaft für heute und morgen.

Eine rund 5.000 jährige patriarchale Geschichte hat uns an den Punkt gebracht, wo vieles darauf hindeutet, dass der globalisierte neoliberale Finanzkapitalismus sich nun anschickt, den Turbogang in einen technokratischen, naturzerstörenden, alles kontrollierenden Transhumanismus einzulegen. Dem werden wir nichts entgegensetzen können, wenn wir uns damit begnügen, wieder mal mit systemimmanenten Detailreformen zu reagieren. Die große Geschichte braucht in ihrem Kern die Erinnerung an Freiheit in Gemeinschaft und Kooperation als unser gemeinsames Menschheitserbe. Dazu brauchen wir ein neues Politik- und Handlungsverständnis, welches auf matriarchalem Wissen und Werten beruht.

Dohrenbach, 30.07.2023: Gandalf Lipinski, Ottmar Lattorf, Kai Bergengruen, Meander Stern, sowie in der Folge: Marius Krüger, Erich Möller, Mathias Goebel, Joachim Pfeffinger, Claudio Harder,…

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Erst das Wissen, dass vor den diversen patriarchalen Gesellschaften eine ganz andere Gesellschaftsordnung allgemein war, öffnet die Augen für eine differenziertere Betrachtung der menschlichen Kulturentwicklung und ebenso für die kulturbegründete Rolle der Frauen.

(Heide Göttner-Abendroth)