Versuch einer politischen Standortbestimmung

Die Zeiten verwirren. Begriffe verwirren. Rechts – Links, Mainstream – Alternativ, feministisch, antisemitisch, faschistisch, rassistisch…

Wer bezeichnet Wen als Was und will was damit aussagen oder bezwecken?

Wo stehen wir als „Gesellschaft in Balance“, was ist uns wichtig und – wenn nötig – mit welchem Bedeutungsinhalt füllen wir welche Begriffe?

Unser Ausgangspunkt ist die historische Entwicklung eines patriarchal-hierarchischen Herrschaftssystems aus einem vorher (vereinzelt immer noch) existierenden egalitären Gesellschaftssystem. Dieses Überzeugung gibt uns das Vertrauen, dass eine friedlichere, gerechtere und menschenwürdigere Lebensform möglich war und wieder möglich sein kann.

Und aus diesem Blickwinkel versuchen wir politische Entwicklungen einzuschätzen. Sind sie hilfreich, das patriarchale System ab – und ein für Menschen verständliches, überschaubares, selbstbestimmtes System auf-zubauen? Das gilt auch für Menschen im persönlichen. Was hilft mir, meine patriarchale Sozialisation zu reflektieren, Verletzungen zu heilen und in eine gestalterische Kraft mit Anderen zu kommen?

Wir gehen davon aus,

  • dass die repräsentative Demokratie bisher immer dem Erhalt des patriarchalen Herrschaftssystems gedient hat. Wir wollen alle Bestrebungen unterstützen, dieses System in Richtung zu mehr Basisdemokratie und Entscheidungsmöglichkeiten der betroffenen Menschen zu entwickeln
  • dass der Kapitalismus als moderne wirtschaftliche und staatliche Erscheinungsform des Patriarchats von Beginn an menschliche Beziehungen und die Natur zerstört hat und dies auch nicht durch eine „grüne“ Wirtschaft beendet wird. Wir wollen alle Bestrebungen unterstützen, die zu einem solidarischen, ausgleichenden und nicht leistungsbezogenen Wirtschaften führen
  • dass unser Geschlechterverhältnis (was alle Formen geschlechtlicher Existenz und Wahrnehmung einschließt) mit Entstehung des Patriarchats in eine Schieflage geraten ist. Frauen wie Männer haben Teile ihrer Empfindungsmöglichkeiten unterdrückt, damit sie im patriarchalen Herrschaftssystem funktionieren und überleben können. Wir wollen alle Bestrebungen unterstützen, die im Äußeren die Unterdrückung von Menschen aufgrund ihres Geschlechtes abschaffen und im Inneren die Heilung von systemischen Verletzungen und die Wiedereingliederung der abgespaltenen Empfindungs- und damit Handlungsmöglichkeiten unterstützen, damit sich die Geschlechter auf Augenhöhe begegnen und die Verhältnisse ändern können
  • dass unser Verhältnis zur Natur inzwischen derart zerstört ist, dass zu viele Menschen sich nicht mehr als Teil der Natur empfinden und damit keine Hemmschwelle zur Ausbeutung der Natur haben. Wir wollen alle Bestrebungen unterstützen, die auf der Handlungs- und spirituellen Ebene wieder eine Verbindung von Menschen und Natur schaffen, denn nur dann können wir unseren Platz als Teil der Natur einnehmen und sie verantwortlich mitgestalten.

Betrachten wir die gegenwärtige politische Entwicklung aus dieser Perspektive, sehen wir mit Sorge,

  • dass in unserer Gesellschaft der individuelle Gestaltungsspielraum durch geänderte Gesetze und Verordnungen immer geringer wird, besonders für die wachsende Zahl der Unterprivilegierten.
  • dass durch die Digitalisierung in immer weiterern Lebensbereichen eine wachsende Kontrolle durch Regierungen und Wirtschaft für den Herrschaftsausbau und die Schaffung neuer Märkte erfolgt.
  • dass diese Prozesse durch die gegenwärtigen Maßnahmen gegen die Coronaviren deutlich beschleunigt werden und gerade die Menschen, die in dem patriarchal-kapitalistischen System den schlechtesten Stand haben, auch an den Maßnahmen am meisten leiden: Kinder, Arme, Obdachlose, Selbstständige ohne ausreichende Absicherung, Alte. Und das auf der ganzen Welt.
  • dass Feminismus, der einst die patriarchale Systemfrage stellte, inzwischen zu einer Ideologie zu verkommen droht, die entweder Frauen den Aufstieg (nicht Ausstieg) im Patriarchat ermöglicht, die der Wirtschaft neue Märkte verschafft, oder in Form einer nicht ausreichend reflektierten Übernahme bestimmter Theorien der Queerbewegung Gefahr läuft, zum Wegbereiter des Transhumanismus zu werden.
  • dass eine „grüne“ Politik auch in den Bereichen Verkehr, Energie oder Landwirtschaft nicht zu der nötigen grundlegenden Verbesserung führen wird, solange sie dem kapitalistischen Wachstumszwang folgt.
  • dass die Existenz rechtsextremer Ideen und Gruppierungen in Polizei und Militär, aber auch in ökologischen und anderen Bewegungen, zum einen an sich schon genug Anlass zur Sorge böte, zum anderen aber auch von pseudolinken Kräften zunehmend als Vorwand instrumentalisiert wird, um Kritik an staatlichem Handeln generell und pauschal als „rechts“ zu verleumden. Faschistoide und menschenverachtende Verfahren wie das sogenannte „social canceling“ und andere Formen der Gewaltandrohung und -ausübung, greifen immer mehr um sich.

Dieses Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit macht klar, dass die „Gesellschaft in Balance“ unter vielen derzeit propagierten Titulierungen von recht/links/grün/usw. nicht einzuordnen ist. Trotzdem fühlen wir uns eher „linken“, „grünen“ oder „feministischen“ Menschen verbunden, wenn diese bereit sind, die derzeitigen Kategorisierungen kritisch zu hinterfragen, was systemerhaltend und was in radikalem Sinn systemverändernd ist.